Sehr geehrte Damen und Herren,
In unserer Märzprognose hatten wir einen Zinskorridor von 2,50 % - 2,80 % erwartet und waren davon ausgegangen, dass die 10-jährigen Mid-Swaps in Erwartung der ersten Zinssenkung der EZB Ende Q2 2024 eine Abwärtsbewegung beginnen würden.
Der erwartete Korridor wurde dabei zweimal nach oben durchbrochen. Darüber hinaus ist der erwartete Rückgang bisher nicht eingetreten. Im Gegenteil hat sich über alle Swap-Laufzeiten hinweg ein Aufwärtstrend manifestiert.
Nach unserer Einschätzung spielt hier die Inflations- und Wirtschaftsentwicklung in den USA eine wichtige Rolle, die die Fed von raschen Zinssenkungen Abstand nehmen ließ. Diese Entscheidung bremst auch Zinssenkungen im Euroraum. In der Folge wurden bereits eingepreiste Zinssenkungen wieder zurückgenommen.
Die EURIBOR-Sätze sind seit unserer letzten Prognose jedoch deutlich gefallen und haben die Zinssenkung der EZB im Juni weitgehend vorweggenommen.
In der EZB-Sitzung am 06.06.2024 wurden wie erwartet alle drei Leitzinsen um 0,25 % gesenkt. Somit liegt der Einlagensatz nun bei 3,75 %, der Hauptrefinanzierungssatz bei 4,25 % und der Spitzenrefinanzierungssatz bei 4,5 %.
Paradoxerweise musste die EZB gleichzeitig ihre Inflationsprognose anheben. Für das Jahr 2024 rechnen die Währungshüter nun mit einer durchschnittlichen Inflation von 2,5 % statt 2,3 %. Im Jahr 2025 soll die Inflation nun 2,2 % statt 2,0 % betragen. Auf die Frage, ob die Zinssenkung angesichts der erhöhten Inflationsprognose nicht verfrüht sei, verwies EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf die geringe Abweichung in ihren Projektionen für das vierte Quartal 2025, in dem die Inflation im Euroraum wieder zwischen 1,9 und 2,0 % liegen soll. Auf der Grundlage dieser "verlässlichen, soliden und robusten Projektionen" habe die EZB die Entscheidung getroffen, die Kürzungen tatsächlich vorzunehmen. In ihrer Stellungnahme hat die EZB ein ambivalentes Statement abgegeben. Dabei wurde sowohl auf Gründe für einen verzögerten als auch einen schnelleren Rückgang der Inflation eingegangen. Das Basisszenario sieht dabei eine gleichbleibende Inflation für den Rest des Jahres vor. Im nächsten Jahr wird dann ein Rückgang auf die Zielgröße von 2,0 % erwartet.
Risiken für einen schwächeren Inflationsrückgang oder gar einen Inflationsanstieg werden insbesondere in der geopolitischen Situation im Nahen Osten bzw. in der Ukraine und deren Auswirkungen auf die Energie- und Frachtkosten gesehen. Auch die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale sei angesichts des weiterhin erhöhten Lohnwachstums noch nicht gebannt. Vorteilhaft könnte sich eine schwächer als erwartete Entwicklung der Weltwirtschaft und der Nachfrage auswirken. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Inflation im Euroraum von April auf Mai sogar leicht um 0,2 % gestiegen ist, auch wenn dies in erster Linie auf Basiseffekte zurückgeführt wird.
Wie in früheren Aussagen verwies die EZB erneut auf ihren datenbasierten Entscheidungsprozess, der die Vorhersage künftiger Maßnahmen verbiete. Einen Pfad für zukünftige Zinssenkungen wird es daher weiterhin nicht geben.
Neben den bereits erwähnten Inflationsrisiken in der Eurozone werden auch die Entwicklung in den USA und das Verhalten der Fed eine Rolle bei den Entscheidungen der EZB spielen. Solange die Fed nicht ebenfalls eine Zinssenkung vornimmt, sind die Handlungsmöglichkeiten der EZB begrenzt, denn eine mit dem Alleingang der Europäer verbundene Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar könnte zu einer Verteuerung US-amerikanischer Importe führen, was den Inflationsdruck hierzulande wieder erhöhen würde. Die Inflation in den USA ist derzeit hartnäckiger als in der Eurozone. Die Fed wird daher noch einige Zeit mit der ersten Zinssenkung warten. Jüngste Prognosen von Analysten erwarten den erste Zinsschritt erst im vierten Quartal. Insofern könnte sich auch die EZB veranlasst sehen, mit weiteren Schritten bis zu diesem Zeitpunkt zu warten.
Nachdem sich seit Jahresbeginn trotz der allseits erwarteten Zinssenkungen ein leichter Aufwärtstrend bei den Mid-Swaps abzeichnet, halten wir es für wahrscheinlich, dass sich dieser Trend im dritten Quartal eher fortsetzt als umkehrt. Hintergrund sind die dargestellten Risiken, die gegen rasche weitere Zinsschritte sprechen.
Wir erhöhen daher unseren Zielkorridor auf eine Spanne von 2,70 % bis 3,00 %.
Der Finanzierungsmarkt ist nach wie vor von Unsicherheiten geprägt, was nach unseren Erfahrungen weiterhin zu langen Bearbeitungszeiten bei angefragten Finanzierungen führt. Außerdem ändern die Marktteilnehmer ihre Strategien teilweise abrupt. Eine frühzeitige Aufnahme von Darlehensverhandlungen ist infolgedessen unerlässlich.
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